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Ein Nackedei im Dschungel der Hierarchien!

7/3/2016

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Die Pause des Winters war dann doch länger als gedacht bzw. hängt es davon ab, wie man Winter definiert. Richtig richtig kalte Temperaturen unter -5 Grad hatten wir Gott sei Dank nicht mehr und auch Frau Holle war wohl anderweitig beschäftigt.

Langsam aber sicher merkt man auch, wie der Frühling sich langsam anschleicht. Die Tage werden wieder heller. Ich werde morgens auf dem Weg zur Arbeit von superschönen glutroten Sonnenaufgängen begleitet und freue mich, wenn ich um 16 Uhr das Büro verlasse und die Sonne immer noch auf mich wartet.

Zehn Monate sind wir nun hier und mit dem langsamen Wiederkehren des Frühlings merke ich, dass auch das German Slowmotion Girl langsam Fuß fasst und viele Dinge, die vor ein paar Monaten noch schwierig oder neu waren, sich nun nicht mehr so fremd anfühlen und sich langsam verselbstständigen.

Die Sprache wird auch nach und nach besser. In meinem Anfänger Norskkurs damals hatte ich immer ein großes Ziel. Wenn ich erst einmal so viel verstehe, dass mein Gegenüber Norwegisch sprechen kann und ich auf Englisch antworte. Das war für mich so verlockend und fühlte sich so weit weg an.

Doch letzte Woche war es so soweit. Mein Meetingpartner war entweder sehr überzeugt von meinen Norwegischkenntnissen oder nicht ganz so überzeugt von ihren Englischkenntnissen. Und so ergab sich ein Schlagabtausch in einem bunten Mix aus Englisch und Norwegisch.

Ich kann definitiv 70-80% verstehen und die übrigen 20-30% sind ebenfalls keine böhmischen Dörfer, sodass ich den Zusammenhang verstehen kann. Aber dennoch muss ich sagen, treiben mir genau diese 20-30% den Schweiß auf die Stirn. Im besagten Meeting fühlte ich mich, als hätte ich auf der rechten Schulter ein kleines German Slowmotion Girl, die tanzt und “Don’t stop me now” singt,  während auf der linken Seite ein ängstliches German Slowmotion Girl zusammengekauert sitzt und hofft, dass es schnell vorbei ist.

Das war es aber nicht, was in Ordnung war. Denn die kleine singende und tanzende Version von mir gewann und brachte mich durch das Meeting. Aber eins kann ich sagen. Auch wenn ich so lange auf diesen Moment gewartet habe - in einer anderen Sprache zu antworten als dein Gegenüber ist komplett abstrus und irgendwie habe ich mir das Ganze besser vorgestellt. Dennoch habe ich mir hinterher einmal selbst auf die Schulter geklopft und zeitgleich die linke Mini-Me Version runtergeschubst.

Sie kletterte aber wenige Tage später bei meinem ersten norwegischen Musicalbesuch wieder auf die Schulter und flüsterte mir vor Showbeginn wenig aufmunternd „Was machst du hier? Du wirst kein Wort verstehen und dich zwei Stunden langweilen“ ins Ohr. Da es für Aufstehen und einfach gehen bereits zu spät war, blieb ich also sitzen und hoffte aufs Beste und erwartete das Schlimmste.

Doch kurze Zeit später tanzte die rechte Mini-Me Version wieder aufgeregt und freudig auf meiner Schulter und ich lachte mit den anderen Zuschauern über Witze, die ich wirklich verstand und nicht nur weil jeder andere lacht. Glaubt mir, das habe ich in verzweifelten Momenten auch schon gemacht. Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit wird stark trainiert, wenn die Sprachkenntnisse noch nicht ganz auf der Höhe sind.

Der Ritterschlag kam dann aber wenige Tage später. Freitag war Lønningspils angesagt. Das ist die norwegische Variante vom Feierabendbier nur mit dem Unterschied, dass man dieses gemeinsame Bier bei der Lohnauszahlung trinkt. Macht ja auch Sinn, denn ein Bier in der Bar kostet – wenns gut läuft - circa 7 Euro. Das trinkt man nicht jeden Abend.

Während des Biergenusses spielten wir gemeinsam die norwegische Variante von Tabu, die hier Alias heißt. Der Sinn des Spiels ist sehr ähnlich. Du musst einen Begriff beschreiben und die anderen sollen ihn erraten. Nur ist hier der Unterschied, dass es keine Begriffe gibt, die du nicht sagen darfst. Gut für mich. Wobei es am Ende wahrscheinlich auch egal ist. Denn einen Begriff beschreiben, den ich nicht kenne mit fünf Tabu-Worten, die ich ebenfalls nicht kenne, machen den Braten nicht fett. Dachte die linke Mini-Mareike. Aber weit gefehlt. Endlich war ich nicht mehr die Eisenkugel am Bein beim 100m Brustschwimmen. Zwar auch nicht unbedingt Franzi von Almsick, aber das kann ja noch werden.

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Der erste Begriff wurde von meinen Kollegen erklärt und ich saß mit Hochspannung vor ihm und streckte meine Lauscher auf. Auf Norwegisch wurde gefragt, wo Mogli wohnen würde und bevor meine norwegische Kollegin etwas sagen konnte, sprudelte aus mir ein “Dschungel” hervor – in der Hoffnung, dass man im Norwegischen das gleiche Wort nutzt. Sicherheitshalber rief ich das englische Wort direkt hinterher. Treffer… und versenkt!!!! Das rechte German Slowmotion Girl tantze vergnügt zu „Versuchs mal mit Gemütlichkeit“! Danke Mogli!! 

Aber auch in anderen Lebenslagen füge ich mich langsam mehr ein. Seit mehr als sechs Monaten trage ich kein Bargeld mehr mit mir rum. Hier in Norwegen kauft man einfach alles mit EC oder Kreditkarte. Am Anfang war dies für mich wirklich eine Umstellung, insbesondere wenn man eine Packung Kaugummis kauft.

Vor wenigen Wochen musste ich für ein Gruppengeschenk umgerechnet 1,85 Euro an eine Freundin überweisen. Mir sträubten sich die Nackenhaare als ich den Betrag in mein Online Banking Tool eingab. Das Geld bar zu geben, wurde aber rigoros abgelehnt. Schmunzelnd musste ich daran denken, als ich in meinem letzten Job in Hamburg für eine Kollegin ein Abschiedsgeschenk besorgt habe und 40 Euro in Zwei-Euro Stücken einkassieren durfte. Eine bodenlose Unmöglichkeit in Norwegen.

Ebenfalls gewöhne ich mich langsam an das Nackedei-Dasein. Als Selbstständig gemeldete sind so gut wie alle Kontaktinformationen von mir Online verfügbar. Ich bekomme und lösche regelmäßig Werbeemails von Steuerberatern und Webdesignfirmen. Höhepunkt hier war das Zusenden eines Stifts mit dem Name meines “Unternehmens” (was ganz einfach mein Vor- und Zuname ist, da es kein richtiges Unternehmen ist) mit PLZ und Ort. Der Kugelschreiber war gratis, aber für einen unschlagbaren Preis könnte ich gerne mehr bestellen. Ich weiß nur nicht so recht, was ich mit den Dingern in meinen Yoga Stunden machen soll. Heimlich den Schülern in der Endentspannung die Gesichter bemalen?  Kugelschreiber – das ist genau das, was jedem Yogalehrer ständig fehlt.

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Nächstes Mal würde ich es sehr begrüßen, wenn man meinen Künstlernamen verwenden würde.
Kläglich versagt habe ich bei dem Versuch, meinen Eintrag aus den norwegischen Gelbe Seiten zu löschen. Per Gesetz ist es leider erlaubt und ich kann das Löschen nicht erwirken. Aber wer weiß. Vielleicht braucht demnächst an einem Sonntagnachmittag jemand eine Yogalehrerin. Oder noch besser: eine Yogalehrerin mit Kugelschreiber… und ist glücklich auf den Gelben Seiten fündig zu werden.

Von Vorteil ist das Nackedei-Dasein aber auf jeden Fall, wenn man auf Wohnungssuche ist. Wir würden gerne Zeitnah den Sommer auf einem Balkon genießen und suchen deswegen erneut. Der Wohnungsmarkt ist verglichen mit HH definitiv entspannter – aber auch etwas kostspieliger. Die Makler sind aber ähnlich "strebsam" und "verlässlich" wie im Norden Deutschlands. Während ich in Hamburg aber immer etwas zögerlich Angaben über mich bei der Wohnungssuche machte, ist es hier ganz anders. Who cares? Ist ja eh alles inklusive Steuerabgaben online verfügbar.

Das deutsche Gespür vom Datenschutz geht hier nach einiger Zeit irgendwie flöten und man versucht sich auf die positiven Nebeneffekte zu fokussieren. Gewisse andere deutsche „Qualitäten“ sind da schwieriger zu überwinden.

Den Stempel „Made in Germany“ habe ich definitiv bei der Arbeit. Oft wird meine deutsche Herkunft betont, was aber meist sehr positiv ist. Ist es nicht ganz sicher, ob ich die nötigen Unterlagen versendet habe, bekomme ich zu hören „Hab‘ dem Kunden gesagt, dass du alles versendet hast, schließlich bist du Deutsche!“. Interessant wird es aber  beim Thema Hierarchien, was mir langsam etwas zum Hals heraushängt.

Ich würde bereits sehr häufig darauf angesprochen, dass es bestimmt sehr ungewohnt ist, in so flachen Hierarchien hier in Norwegen zu arbeiten. Was schon zutrifft, aber dieser Unterton, der in der Frage meistens mitschwingt, stört mich etwas. Meine früheren Vorgesetzten standen nicht mit einem Stock neben meinem Schreibtisch und hauten mir auf meine Fingerchen, wenn ich einen Fehler gemacht habe.

Die flachen Hierarchien kommen – meiner subjektiven Meinung nach – aber auch mit einem Preis. Natürlich lernt man so recht schnell Verantwortung für seine Arbeit zu tragen und wer hat schon gerne einen Chef, der einem ständig über die Schulter schaut. Ich finde aber regelmäßige Feedbackgespräche und jemand, der die Arbeitsleistung bewertet gerade für Berufsanfänger sehr hilfreich. Das Motto „Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt“ funktioniert nur beschränkt, wenn es um die persönliche Weiterentwicklung geht. Und auch mit Universitätsabschluss hat man nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen und nicht jede erbrachte Leistung ist ein Wunderwerk des menschlichen Verstandes.

Auch nicht zu verachten ist, dass ein Chef aber auch in schwierigen Situationen einschreiten kann und gewisse Bürden von den Schultern der Mitarbeiter nehmen kann. Das kostet aber natürlich Energie, Zeit sowie ein wenig Einsatz- als auch ein gewisses Maß an Konfliktbereitschaft von den Führungspositionen.

Die Rede erspare ich mir und meinem Gegenüber aber meist, wenn das Thema angesprochen wird. Stattdessen kommt einfach nur ein „Ach, so unterschiedlich ist es gar nicht.“ Erspart mir eine Menge Energie, Zeit und Konflikte. Ich bin dann halt doch recht anpassungsfähig.

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    "Es ist nicht unbedingt schlecht, wenn dein Leben auf dem Kopf steht. Das ist wie bei Shampoo Flaschen: Manchmal kommt dann einfach mehr heraus!" Dies habe ich wörtlich genommen und mein bisheriges Leben einfach einmal umgedreht.
    Gemeinsam mit meinem Freund geht es von Hamburg noch weiter in den Norden und zwar nach Oslo. Wie es uns hierbei ergeht, werde ich auf diesen Seiten erzählen.

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