Mai ist der Monat in Norwegen mit den wohl meisten Feiertagen und dem größten Alkoholkonsum. Nicht nur wird am 17. Mai die Unabhängigkeit mit Champagnerfrühstück in traditioneller Tracht gefeiert und die Königsfamilie winkt artig vom Schlossbalkon, sondern auch die Norwegischen Abiturienten feiern ihren Abschluss und das relativ ausgiebige einen Monat lang. Gut zu erkennen sind diese an den besagten roten Latzhosen, die während dieser Zeit nicht gewechselt werden.
Über die Hygiene lässt sich streiten, interessanter finde ich aber, dass diese Feierei vor den Abschlussprüfungen stattfindet. Im Juni werden die Alkoholleichen aka Abiturienten geprüft. Erst die Arbeit dann das Vergnügen? Ach nee, das wäre ja langweilig.
Meine englische bessere Hälfte und ich amüsieren uns gerne mal darüber, dass dies wahrscheinlich auch nur im Disneyland Norwegen möglich ist. Der Wohlstand durch das Öl hat definitiv einen Effekt auf die jüngeren Bewohner hinterlassen. Diese sind gut behütet und betüddelt aufgewachsen und sich dessen bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit arbeitslos nach der Schule zu sein, doch sehr gering ist.
Wenn ich durch Oslo laufe und eine dänische oder schwedische Kette neben der anderen und auf der Straße Volvos neben einer hohen Anzahl an deutschen Autos sehe, frage ich mich manchmal, was aus Norwegen geworden wäre ohne den Ölfund. Seine skandinavischen Nachbarn erscheinen geschäftlich ambitionierter.
Aber zurück zum eigentlichen! Ein Jahr in Norwegen. Ich dachte, das schreit nach einem kleinen Rückblick bzw. einer "Abrechnung". Stimmen die Vorurteile gegenüber den Norwegern? Wurden die eigenen Erwartungen erfüllt?
Ich glaube, zunächst muss ich vielleicht erst einmal einwerfen, dass ich relativ erwartungslos in dieses Land gekommen bin. Die einzige Wunschvorstellung, die ich hatte, war einen ähnlichen Arbeitsvertrag wie mein Freund zu bekommen. Wo die Arbeitszeit bis höchstens 17 Uhr ist und im Sommer nur bis 15.30.
Dieses Ziel habe ich erreicht. Ich bin nun seit 10 Monaten in meinem Job und musste in dieser Zeit einmal bis 18.15 arbeiten, da ich einen Termin mit zwei Engländern hatte, wo die Uhren etwas anders ticken. Meine Chefin entschuldigte sich hinterher dafür und ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
Während ich mich an die Arbeitszeiten recht schnell gewöhnen konnte, hadere ich mit ein paar anderen Dingen im Norwegischen Berufsalltag ein wenig. Man könnte es positiv bezeichnen und sagen, dass einem direkt viel Verantwortung übergeben wird. Aber gleichzeitig empfinde ich mich und auch andere oft allein auf weiter Flur.
Meist muss ich auch ein wenig schmunzeln über den Mikrokosmos Norwegen oder wie oben beschrieben Disneyland Norwegen. Sie haben es definitiv geschafft, sich ihre kleine eigene Welt zu schaffen, wo in vielerlei Hinsicht die Uhren noch so ticken wie vor einigen Jahren. Pünktliche Feierabende, um Zeit mit der Familie zu verbringen, gute Gehälter für alle Berufsgruppen, die private Hütte in den Bergen als nettes Accessoire.
Aber gleichzeitig auch überteuerte Lebenshaltungskosten und eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit mit anderen europäischen Ländern. Während ich Kleidung und Elektroprodukte relativ ähnlich bepreist finde, sind Lebensmittel, Alkohol und Restaurantbesuch oft einfach abschreckend kostenintensiv.
Und um hier einmal einem Vorurteil gerecht zu werden. Ja, in Norwegen werden höhere Gehälter gezahlt. Aber dies trifft – im Vergleich mit Deutschland – speziell auf Berufe wie Physiotherapeuten, Krankenschwester und Handwerker zu. Als Akademiker mit Berufserfahrung sollte man – mit wenigen Ausnahmen – sich nicht erhoffen, dass man plötzlich das doppelte verdient.
Wir können uns bestimmt nicht beklagen über unsere Gehälter. Aber das mehr was wir hier verdienen, kompensiert nicht 12 Euro für ein kleines Glas (Haus)Wein im Restaurant oder 28 Euro für 1kg Spargel im Gemüseladen. Versöhnt werde ich da nur damit, dass es bei jedem Restaurantbesuch kostenlos stilles Wasser dazu gibt. Dennoch tun die Rechnungen am Ende eines Restaurantbesuchs oft weh.
Die Norweger haben hier eine sehr pragmatische Sichtweise. Als ich mich mit einer Kollegin über die Restaurantpreise unterhielt und dass die Gehälter diese nicht kompensieren, konnte ich in strahlende Augen schauen und die Erklaerung hören, dass dies an den norwegischen Lebensstil angelegt ist. Man geht halt kaum essen. Mich hats vor Lachen fast vom Stuhl gehauen, meine Kollegin fand es super logisch.
Trotz der hohen Preise gibt es eine sehr positive Sache, die mir aber immer wieder auffällt. Eine Eigenschaft, die wir uns bestimmt etwas mehr abgucken könnten von den Norwegern, ist dass hier per se weniger gejammert wird. Diese liegt aber auch an einem enormen Nationalstolz.
Vor kurzem war ich mit Arbeitskollegen in einem norwegischen Musical, wo es um das leicht abnormale Königshaus ging. Ich hatte ja keine Ahnung, welche Fähigkeiten der Adel in Norwegen hat hinsichtlich Unterhaltungen mit Engeln. Aber nichtsdestotrotz kam ein Thema immer wieder auf. Die Wahl zum besten Land der Welt, was immer wieder Norwegen gewann. Ich fragte nach der Show meine Kollegin, ob es diese Wahl wirklich gibt oder worauf sich das genau bezieht. Sie fing darauf an zu erklären, dass es diese Wahl so genau nicht geben würde, die Norweger aber allgemein sehr stolz auf ihr Land seien.
Ich unterbrach sie sanft, zog meine Augenbrauen hoch und sagte leicht süffisant: "No...shit? Really?" Die Norweger sind sehr stolz auf ihr Land? Das war mir bisher entgangen. Okay, sie tragen gerne Winterjacken in den Nationalfarben, norwegische Flaggen auf der Mütze und der Geburtstagstisch wird ebenfalls mit einer ausgestattet. Nicht zu vergessen die Flagge am privaten Boot oder vor der privaten Hütte.
Wobei ich den Geburtstagstisch am seltsamsten fand. Ich kann mir vorstellen, dass dies in AfD Kreisen vielleicht auch gemacht wird, aber die Gesichter meiner Kollegen hätte ich gerne in meinen alten Jobs gesehen, wenn die Geburtstagsdeko aus Deutschlandflaggen bestehen würde. Ich bin schon sehr auf meinen Geburtstag gespannt.
Nur in wirklich traurige Augen durfte ich gucken, als es um die Teilnahme an EM und WM der norwegischen Fussball-Nationalmannschaft ging. Fjorde und Berge konnten da nicht trösten.
Vor kurzem habe ich einen norwegischen Werbespot gesehen, wo es darum geht, warum die norwegischen Frauen so schön seien. Ich konnte mir das Lachen echt nicht verkneifen und übersetzte den Spot schnell fuer meinen englischen Nachbarn aka Freund.
"Das Geheimnis wunderschöner deutscher Haut liegt an...." wird man wohl HOFFENTLICH nie im deutschen Fernsehen hören.
Ich hatte nach einem Jahr in Norwegen natürlich auch bereits Kontakt zum Gesundheitssystem. Dazu in einem anderen Post mehr. Aber so viel darf bereits gesagt sein: Jeder Arztbesuch kostet dich schlappe 190 Kronen Selbstanteil als Erwachsener (circa 21 Euro) [und fun fact: Der Zahnarzt ist komplett privat]. Dieser Eigenanteil ist gedeckelt, sodass man bei einer Krebserkankung nicht direkt auch noch bankrott ist. Aber dennoch musste ich auch hier sehr schmunzeln, als meine Kollegen mir das System erklärt haben.
Ich musste direkt an die Praxisgebühr von 10 Euro denken. Wie groß war der Aufstand damals in Deutschland. Unzumutbar war das angeblich. Hier werden 190 NOK anscheinend einfach akzeptiert. Meine Kollegen zuckten nicht mit der Wimper als sie mich in das System einweihten. Denn ihr dürft eines nicht vergessen: Norwegen ist teuer... aber Norwegen ist auch toll! [Anmerkung für alle Detail-liebenden Deutschen: Der Grundbeitrag für die Versicherung ist aber wesentlich geringer als in Deutschland]
So anstrengend ich den Nationalstolz manchmal finde – insbesondere als Deutscher – muss ich aber sagen, dass ich denke, wir könnten ruhig etwas mehr davon haben und etwas weniger Jammern, Beschweren und Schwarzmalen!
Eines der ersten Dinge, die man mir hier beigebracht war, dass ich nicht mit deutscher Direktheit antworten soll, wenn man mich fragt, wie ich Norwegen finde. Der Norweger will nicht deine Meinung sondern hören, wie toll sein Land ist.
Skandinavien wird in vielen Dingen immer als Paradebeispiel angeführt. Wie ich in letzter Zeit auch lernen konnte, ist Skandinavien nicht gleich Skandinavien. Die Länder unterscheiden sich doch extrem. Aber nichtsdestotrotz fließt hier nicht Honig in den Flüssen und auch dieses System hat Vor- und Nachteile. Die Nachteile werden hier nur einfach mehr zwinkernd übersehen, während man als Deutscher oft eher den Nachteil betont. Wir müssen ja nicht direkt bei jedem Geburtstag mit Deutschlandflaggen wedeln, aber ein bisschen positiveres Denken schadet nicht.
Also, beim nächsten Mal nicht beschweren, sondern einfach dran denken: Norwegen UND Deutschland sind toll!