Natürlich ist die Sprache noch immer eines der großen Hindernisse hier – abgesehen von den Behörden und Banken. Aber ich muss sagen, nach und nach wird es besser. Wenn man dann in einem Meeting sitzt und in dem norwegischen Wirrwarr plötzlich wirklich Worte erkennt und 80% der Präsentation versteht, macht das Herzchen einen kleinen Hüpfer. Nur ist es umso ärgerlicher, wenn sich in den 20%, die man nicht versteht, eine Frage versteckt und plötzlich zehn norwegische Augenpaare einen anstarren. Völlig verzweifelt, versucht man daraufhin in Windeseile, den Satz zu rekonstruieren - vergeblich! Dann ist man froh, wenn man ein „jeg forstår ikke“ über die Lippen bekommt zusammen mit einem verschmitzten Lächeln.
Meine Lernkurve ist in den letzten Wochen definitiv noch einmal stark gestiegen, nachdem sie eine Zeitlang etwas stagnierte. Gleichzeitig stellte sich aber auch eine enorm starke Müdigkeit ein. Ich hatte ja keine Ahnung, wie anstrengend es ist a) eine neue Sprache zu lernen und b) von dieser Sprache auch die ganze Zeit umgeben zu sein.
Hinzu kommt noch, dass meine einzige Fallback-Möglichkeit Englisch ist, was ebenfalls nicht meine Muttersprache ist und mein Gehirn nicht unbedingt munterer macht. Der einzige Vorteil ist: Wann immer ich an meinen Englischkenntnissen zweifel, muss ich nur ein bisschen Norwegisch sprechen. Und zack ist mein Englisch absolutely f*** awesome!
Dennoch fängt mein großer Kopf langsam an sich selbstständig zu machen und alles wild zu mixen. So werfe ich nun einfach alle Sprachen durcheinander – in nur einem Satz. Nur Asterix und Obelix sind nun wirklich weg und der Sprachenmix besteht „nur“ noch aus Deutsch, Englisch und Norwegisch. Ich sehe es generell als gutes Zeichen, dass sich gewisse norske Vokabeln festigen. Aber in manchen Momenten, wo ich Sätze sage wie: „Hvor mye budget do we have jetzt?“ und es noch nicht einmal merke, kann man nur feststellen: Jeg schnappe over!!! [Fun Fact am Rande: Der Norweger fragt wo (hvor) viele (mye) und nicht wie viele.]
Aufmunternd ist, wie sehr sich meine Kollegen über jeden norwegischen Satz freuen. Teilweise fühle ich mich wie das Enkelkind, was seinen Großeltern zeigt, welche neuen Worte es bereits gelernt hat. Und so quake ich meine norwegischen Brocken durchs Büro und bin manchmal gewollt, manchmal ungewollt (oft eher letzteres) die Grundlage für viele Lacher im Büro.
Sehr hilfreich ist hier mein regelmäßiger persönlicher Norwegischunterricht, in dem ich durch Umwege die skurrilsten Worte lerne. Und die Wege meines Hirns sind unergründlich: So kann ich mir – warum auch immer – die Vergangenheitsform von "müssen" nicht merken, aber die Übersetzung für „Beschneidung“ – natürlich!!! – die bleibt direkt haften. Aber ich kann euch versichern, die Gesichter sind Gold wert, wenn ich in eine Unterhaltung das Wort Beschneidung einfädeln kann. Meistens geht direkt danach einer sehr fragender Blick zu meiner „Norwegischlehrerin“ aka Kollegin.
Der Vorteil, wenn man die Sprache nicht spricht, ist, dass einem die kleinen Eigenheiten auffallen, die man sonst gar nicht mehr wahrnimmt. Dank einer deutsch-englischen Beziehung, wurde ich zu Hause auch schon mehrfach aufgeklärt, was die Marotten der Deutschen sind. Von nicht-Deutschen wird unser „Häh?“ als nicht sehr schöne Ausdrucksform des Nicht-Verstehens wahrgenommen.
Direkt gefolgt von „Hallooooo?“. Nicht gemeint ist das Hallo zur Begrüßung. Sondern eher das unfreundliche „Hallo“, was einem der Busfahrer zuruft, wenn man zu nah an der Tür steht. Da kann ich nur sagen: Häh? Halloooooooo? Kann man sein Unverständnis irgendwie besser ausdrücken als mit den beiden kleinen H-Wörtern?
Aber kommen wir zurück zu den Norwegern. Hier gibt es vier kleine Marotten. Wenn man jeden Tag in einem Büro sitzt und dem Geplänkel lauschen kann bzw. muss, aber nicht alles versteht, so begreift man doch vier Worte und einen gedehnten Laut recht gut und die fallen gefühlt immens häufig:
Nummer eins: ikke sant -> übersetzt bedeutet dies so viel wie „nicht wahr“. Es wird gerne am Ende eines Satzes genutzt, um eine Bestätigung für seine Aussage vorher zu bekommen. Amüsant wird es aber, wenn der Gesprächspartner seine Bestätigung ausdrückt, indem er die ganze Zeit dem Redner ein „ikke sant“ entgegenwirft. Glaubt mir, ich durfte mir einmal so häufig innerhalb kurzer Zeit „ikke sant“ anhören, dass ich verzweifelt zu Kopfhörern gegriffen und deutsche Musik angestellt habe.
Mein Freund fand das aus englischer Sichtweise relativ unverständlich. Warum unterbricht man den anderen ständig mit einem „not true“, wenns doch wahr ist. Ich habs dann einfach mal mit einem kulturvierten englischen bzw. amerikanischem „Shut up?“ verglichen. Da soll der Gesprächspartner ja auch nicht die Klappe halten.
Nummer zwei: Herregud -> übersetzt „Oh mein Gott“. Wird fast genauso häufig gesagt wie „ikke sant“ aber meist mit einem weitaus schöneren Singsang in der Stimme. Ich habe vergeblich auf youtube nach einem Video gesucht, um Herregud etwas besser verdeutlichen zu können. Leider war ich erfolglos. Herregud, warum hat das denn noch keiner per Video festgehalten???
Nummer drei: Eine andere Form den Gesprächspartner zu bestätigen – abgesehen von ikke sant – erfolgt durch eine Mischung von ja sagen und dem gleichzeitigen einatmen. Ein „Jatmen“ quasi. Es klingt ein bisschen, als hätte man leichte Atemprobleme – ist aber gesundheitstechnisch unbedenklich. Ich hoffe nur sehr, dass es nicht ansteckend ist. Das macht sich nicht gut neben einer „Häh-Schwäche“.
Nummer vier: Obwohl Norweger ja eigentlich eher ein stilles Völkchen sind, mag man Gesprächspausen wohl nicht ganz so gern und sie werden gerne durch ein zweisilbiges „hmmmm-hmm“ unterbrochen. Das „Hmmmm-hmm“ ist auch eine Art der Bestätigung, aber meistens eine Bestätigung von dem, was man gerade selber gesagt hat.
Es bleibt abzuwarten, ob sich mein Kopf gegen diese Marotten wehren kann oder sie im schlimmsten Fall mit den deutschen gemixt werden und ich meinem Gesprächspartner in naher Zukunft ständig ein „ikke häh“ entgegenwerfe.
Momentan versuche ich meinem Kopf etwas Ruhe zu gönnen, indem ich meist deutsche Musik höre. Das ist zurzeit - neben diesem Blog und meinem Flow Abo (danke Heike aka Mareike :-*) - die einzige deutsche Erfrischung (Kinderschokolade und Haribo mal nicht mitgezählt).
Doch dann sitzt man an einem Samstagabend bei offenem Fenster im Wohnzimmer und von draußen ist Partymusik zu hören, die einem irgendwie bekannt vorkommt. Aber erst beim Refrain fällt der Groschen und die Gehirnzellen schunkeln - bevor man sich versieht – mit zu einem musikalisch fragwürdigen: Luuuuluuuuuluuuu – Lukas Podolski….!!! Spätestens dann merkt man: Jeg schnappe nicht alene over!