Aber auch wenn es hier im Blog ruhig war die letzten Wochen, so war dies nicht der Fall im Leben dieser kleinen multikulti Familie in Oslo. Ich erzähle aber dieses Mal nicht chronologisch, sondern etwas puzzlehaft mit den fünf Dingen, warum ich Norwegen hasse.
1) Lange Elternzeit, wo auch der Papa anpacken muss
Auf den ersten Blick ist die Elternzeit in Deutschland recht ähnlich zur Elternzeit in Norwegen. So oder so sollte man sich auch für beide Modelle glücklich schätzen. Sprechen wir mit Freunden in England, Australien oder den USA vermuten diese, dass wir heimlich das Tor zum Schlaraffenland gefunden haben.
Aber zurück zu den beiden Elternzeitkonzepten: Zwei kleine Unterschiede gibt es dennoch. Zum einen kann der Teil, der für den Vater bestimmt ist, nur in Anspruch genommen werden, wenn die Mutter wieder arbeiten geht. Der Gedanke ist, dass ein Elternteil arbeitet während sich der andere um den Sprössling kümmert.
Das fanden wir – um ehrlich zu sein – total doof, da wir gemeinsam in der Zeit Familie besuchen wollten. Einen Weg drum herum gibt es dennoch. Die Frau kann natürlich Urlaub in ihrer Firma einreichen. So haben wir unsere Zeit ebenfalls überbrückt. Mit einer Familie über halb Europa verstreut sind die Grundbedingungen aber natürlich auch andere. Den Trend, die Elternzeit für Safari Touren zu nutzen, finde ich auch etwas schwierig bzw. nicht im Sinne des Erfinders.
Der norwegische Gedankengang gefällt mit grundsätzlich, dass auch der Papa sich einmal für mehrere Wochen um volle Windeln und Co. kümmern muss. Da fällt die Einsicht leichter, dass man doch nicht den ganzen Tag netflixt und auch der Kaffee im Café anders schmeckt, wenn man aufpassen muss, was sich der Sohnemann heimlich vom Fußboden fischt.
Auch finanziell macht dies bei den meisten Familien keinen großen Unterschied, ob die Frau oder der Mann zu Hause bleibt. Mit der Deckelung in Deutschland bleiben wahrscheinlich gerade viele Männer in hohen Positionen lieber hinterm Computer als vorm Wickeltisch.
Die Deckelung gibt es hier auch, ist aber weitaus höher und falls das Gehalt doch den Satz übersteigt, gibt es bei vielen eine Lösung dafür:
2) Lohnausgleich während der Vaterzeit
Viele Firmen zahlen ihren Mitarbeitern die Lohndifferenz zwischen Elterngeld und dem normalen Gehalt während der Elternzeit – FREIWILLIG! Als man mir das das erste Mal erzählte, staunte ich Bauklötze. Irgendwie ja paradox, da man damit die Mitarbeiter ermutigt, vielleicht sogar mehr Zeit zu nehmen. Definitiv eine Idee, die es über die Grenzen von Norwegen schaffen sollte. Schon allein der Gedanke der Wertschätzung dahinter – nicht nur für den Mitarbeiter sondern auch für das übernehmen der Elternrolle – finde ich großartig.
3) Kein Karriereknick trotz Elternzeit
Elternzeit nehmen wird in Norwegen auch prinzipiell positiv betrachtet und nicht unbedingt als das abrupte Beenden der Karriere. Während ich aus Deutschland oft Geschichten zu hören bekommen habe, dass der Mann aus “Karriere-Gründen” kaum Elternzeit nehmen konnte oder es personell einfach nicht möglich, ist es uns hier ganz anders ergangen.
Während meine bessere Hälfte und ich unsere Sachen vorbereiteten, um für ein paar Wochen die Familien zu besuchen, rief sein Arbeitgeber an. Der erste Gedanke war natürlich in Richtung “Oh man, was auch immer es ist, könnt ihr das nicht alleine lösen”. Aber nein, es war keine inhaltliche Frage zu seinem Job. Eine Frage war es dennoch, aber ganz anderer Natur. Die Firma würde ihn gern befördern und gibt ihm das Wochenende als Bedenkzeit. Zurück aus seiner 10 wöchigen Elternzeit würde es dann direkt losgehen.
Und wieder staunte ich Bauklötze. Das kam komplett aus dem Nichts. Wir hatten keinerlei Vorahnung und eigentlich war der Plan gewesen, im kommenden Jahr wieder gen Deutschland zu ziehen. Eigentlich….
So saßen wir dort, bei 23 Grad und Sonne auf unserem Balkon und überlegten, was wir tun sollten. Die Annahme der Beförderung würde unsere Zeit hier definitiv noch einmal um 2-3 Jahre verlängern.
Eine gemeine Fragestellung an den wenigen Sommertagen in Oslo. Mitte Februar wäre ich wahrscheinlich weniger offen für eine solche Unterhaltung gewesen.
4) Kindergarten oder hinterm Herd Geld verdienen
In Norwegen hat dein Kind ein Anrecht auf einen Kinderbetreuungsplatz, wenn es 1 Jahr alt ist. Nur leider funktioniert das System nur richtig gut für Kinder geboren zwischen August und November. August ist Schulstart und die Kindergärten haben wieder Platz.
Wenn man im August ein Jahr alt ist, hat man also gute Karten. Danach folgen dann die Kinder mit Geburtstag im September, dann Oktober usw. Ab Dezember hast du kein wirkliches Anrecht mehr und es sieht auch recht dünn aus. Wenn du Glück hast, zieht vielleicht jemand um. Der König von Norwegen – unser Sohn – gehört zu genau den Kindern.
Die Anmeldung ist sehr einfach, erfolgt online und läuft gebündelt über eine zentrale Stelle. Du musst dich also nicht bei jedem Kindergarten einzeln bewerben. Online kannst du immer einsehen, wie viele Plätze in einem Kindergarten frei sind.
Nichtsdestotrotz, gar keinen Platz zu bekommen ist unwahrscheinlich. Aber es könnte sein, dass es nicht der Traumkindergarten ist, der fußläufig zu erreichen ist.
Betreuung erfolgt ganztägig, meist von 07.30 bis 17.30, bzw. «kann» ganztägig erfolgen. Natürlich kann man das Kind auch später bringen oder früher holen oder beides :-).
Und wenn wirklich alle Stricke reißen und man keinen Platz bekommt, gibt es eine andere Möglichkeit: Die berüchtigte Herdprämie
Was in Deutschland heiß diskutiert wurde, ist hier in Norwegen Realität. Nimmt dein Kind keinen Kindergartenplatz in Anspruch – sei es weil du keinen bekommen hast oder das Kind länger zu Hause lassen möchtest, bekommst du umgerechnet circa 800 Euro Unterstützung im Monat vom Staat.
Viele Eltern nutzen dieses Geld, um ihr Kind privat bei einer Tagesmutter unterzubringen oder verlängern die Elternzeit und haben so jedenfalls ein bisschen finanzielle Unterstützung.
Einziger Haken: Beide Elternteile müssen Norweger sein, mindesten 5 Jahre im Land gelebt haben oder EU Bürger sein. Die Betonung liegt auf «beide». Das schützt auf der einen Seite das System, für ein paar Norweger in Beziehungen mit Australiern, Asiaten, Amerikanern etc. ist dies natürlich ungerecht.
Für uns bedeutet es aber, dass nach dem 1. Geburtstag die Kinderbetreuung gesichert sein sollte – trotz Geburt im Dezember.
5) Last but not least – Work-Life-Balance ist nicht nur eine Floskel
Wenn wir nach unseren Arbeitszeiten gefragt werden, erzählt meine bessere Hälfte gerne als Anekdote, dass ich während der Elternzeit um 17.30 auf seinem Handy angerufen habe, um zu fragen, warum er noch nicht zu Hause ist.
Hallo? Was ist daran witzig? Normale Arbeitszeit ist bis 17 Uhr und sein Fußweg nach Hause beträgt 20 Minuten. Die Frage war also vollkommen berechtigt.
Aber nein, nun einmal im Ernst. Gerade in der Anfangszeit der Elternzeit war ich so viele Male froh, dass die Work-Life Balance es in Norwegen Familien wirklich einfacher macht. Insbesondere neugebackenen Müttern, die mit spitzen Ohren lauschen, wann der Schlüssel in der Tür umgedreht wird.
In meinem Job z.B. zählt die Zeit nach 18 Uhr als Überstunden und du kannst auf Kosten der Firma über Foodora essen bestellen. Ich kann gar nicht sagen, wie das genau funktioniert, denn spätestens um 17 Uhr war ich nicht aus dem Büro sondern bereits zu Hause.
Mit Freunden reden wir häufig darüber, ob wir wohl jemals wieder außerhalb Norwegens arbeiten können oder uns dieses lasche System für immer ruiniert hat?!
So…aber zurück zu 3). Da saßen wir dann und mussten eine Entscheidung treffen. Beförderung ja oder nein? Norwegen verlängern ja oder nein?
Wir haben Pro und Kontra Listen geschrieben, sind verschiedene Szenarien durchgegangen. Haben drüber geschlafen, mit Familie und Freunden gesprochen und es mit Fahrradtouren und Strandbesuchen versucht kurzzeitig von uns zu schieben, um einen klaren Kopf zu behalten.
Am Ende fiel die Entscheidung dann dafür, das Angebot anzunehmen und unsere Zeit hier noch einmal zu verlängern. Die Gründe dafür sind oben beschrieben. Meine fünf Gründe, warum ich Norwegen hasse. Okay, es sind die Dinge, die uns gut an Norwegen gefallen und den Ausschlag gegeben haben. Aber es sind am Ende auch die Dinge, die fast 1.000 km zwischen mich und meine Familie und Freunde bringen. Grund genug also für ein wenig Ablehnung.
Nach 2-3 Jahren wird es aber dann kein «eigentlich» geben. Das musste manN mir versprechen. Aber wer weiß das «eigentlich» schon???