Nein, ich habe es noch nicht ins Schloss geschafft, Mette hat mich nicht adoptiert und auch trotz Schnee habe ich Frau Holle nicht getroffen. Aber dennoch hat mich einiges an meine Erfahrungen erinnert. Aber fangen wir einmal vorne an und arbeiten uns durch die Welt der Geschichten, Fabeln und Märchen:
Mit meinem zunehmenden Norwegisch-Wissen wird das soziale Miteinander manchmal – ironischer Weise – nicht unbedingt einfacher. Während es am Anfang zwei klare Fälle gab – sprich Englisch oder sie versteht nichts – lebe ich nun in einer Zwischenwelt. Man kann auch Norwegisch mit mir sprechen und ja nach Thema antworte ich auch auf Norwegisch. Eine Garantie, dass ich alles verstehe gibt es aber nicht.
Nur habe ich in letzter Zeit festgestellt, dass ich oft gekränkt reagiere, wenn ich mich auf Norwegisch bemühe und mein Gesprächspartner plötzlich zu Englisch wechselt. Ein sehr häufiges Verhalten bei Kollegen, die nach 1990 geboren wurden. Für mich ist eh immer noch zweifelhaft, dass man mit dem Geburtsjahr bereits arbeiten darf. Aber je jünger dein Gegenüber, umso besser ist sein Englisch und gleichzeitig umso weniger vorhanden seine Geduld.
„Ich spreche halt lieber Englisch mit Mareike“ waren vor kurzem die Worte unserer Praktikantin. Ich fing lauthals an zu lachen und vervollständigte ihren Satz: „…denn ihr Norwegisch ist einfach grottig!“. Direkt danach suchte ich aber das Wort „Kränkung“ im Online-Wörterbuch und präsentierte es ihr als die Vokabel des Tages. Sie verstand den Wink, sprach aber dennoch weiter auf Englisch.
In einem anderen Meeting, was ich vor ein paar Wochen hatte, wusste mein Gegenüber für gut 20 Minuten nichts von seinem deutschen Glück. Er erzählte und erzählte und erzählte… natürlich auf Norwegisch. Als ich dann irgendwann an der Reihe war, erklärte ich kurz ebenfalls auf Norwegisch, dass ich Deutsche und mein Norwegisch work in progress sei, ich gerade alles verstanden habe, aber jetzt auf Englisch weiterreden würde. Soweit so gut. Nur setzte mein Gegenüber – obwohl ich ja auf Englisch sprach – seinen Teil des Dialoges auf Norwegisch fort.
Ich war im ersten Moment echt irritiert und ärgerte mich ein wenig, dass ich mich jetzt weiter in einem Geschäftstermin abmühen muss. Den Gedanken gedacht, musste ich aber direkt innerlich grinsen. Denn hätte er auf Englisch weitergesprochen, wäre das Madame alias mir auch nicht recht gewesen. Durch zig Matratzen hindurch findet die deutsche Prinzessin mögliche Kränkungen hinsichtlich ihrer Sprachkenntnisse immer und zu jeder Zeit! Ich bin quasi das Trüffelschweinchen unter den beleidigten Leberwürsten.
Einen Weg gibt es aber, damit ich seelenruhig auf dem Matratzenturm schlafen kann. Das Zauberwort ist Diplomatie. „Dein Norwegisch ist ja ausgezeichnet. Respekt! Wenn du willst können wir aber auf Englisch sprechen.“ Mit einem gestreichelten Ego und einem nicht zu überstrapazierten Gehirn schläft es sich einfach besser.
Verwünscht:
Okay, ich gebe zu: Nicht jeder kennt diesen Disney Film. Die Handlung kurz zusammengefasst: Prinzessin wird aus der Märchenwelt heraus in die heutige Zeit mitten nach NYC versetzt. Hier prallen natürlich Welten auf einander. Aber seht einfacht selbst:
"Was ist denn das Grüne in der Suppe?" ist für mich auf Norwegisch wirklich nur eine Frage der Zutaten und keine indirekte Kritik. Ungelogen - es gab Meetings, die ich viel positiver wahrgenommen hatte als meine norwegischen Kollegen. Am Anfang war ich sogar erstaunt, dass es in der norwegischen Arbeitswelt anscheinend relativ wenig Zickenkrieg, Zwergenaufstände und Zankereien gibt.
Aber weit gefehlt. Die naive Prinzessin auf der Erbse hats nur einfach nicht geblickt. Ich habe nun meine eigene geheime Übersetzerin, die mir oft nach Terminen Captain Subtext noch einmal vorstellt.
Ich stelle hinterher aber häufig fest, dass sich so ein bisschen Naivität aber wirklich lohnt. Außen vor sein ist vielleicht grundsätzlich kein Gefühl, was man ständig erleben möchte. Aber wenns um gekränkte Egos und verletzte Eitelkeiten geht, muss ich sagen, kann mein Norwegisch gerne länger auf niedrigen Niveau bleiben.
Der kleine Prinz:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ So hieß es ja bereits beim kleinen Prinzen. Als echte Prinzessin übe ich mich darin natürlich auch bzw. bleibt mir manchmal fast gar nichts anderes übrig.
Wie ich immer wieder feststellen kann, lerne ich Menschen auf Grund meiner sprachlichen Beeinträchtigung ganz anders kennen. Speziell wenn du am Anfang darauf angewiesen bist, dass die anderen mit dir Englisch sprechen, brauchst du bei deinem Gegenüber auch ein Stück weit Offenheit und Entgegenkommen. Soziale Verbindungen in einer anderen Sprache aufzubauen ist einfach noch einmal schwieriger.
Dadurch kann man insbesondere empathische Menschen sehr leicht herausfiltern. Das sind die Menschen, die ohne Worte merken, dass die norwegischen Schwimmflügel schlapp machen und eine große Welle sich vor mir aufbäumt und mir unter die Arme greifen. Menschen, die taktlosen Kollegen auf Englisch ins Wort fallen, wenn diese komplizierte Themen auf Norwegisch erklären, sodass ich nicht erneut um eine Übersetzung bitten muss (du bist es irgendwann wirklich leid). Menschen, die vom letzten Deutschlandtrip Adventskränze mitbringen, damit ich ein Stück mehr Heimat hier oben im hohen Norden habe.
Man lernt aber auch die andere Seite von Menschen kennen. Menschen, die dir aus dem Weg gehen, weil sie – um es auf den Punkt zu bringen – keinen Bock haben schon wieder auf Englisch mit dir zu sprechen oder in Zeitlupe Norwegisch. Menschen, die gewisse (schwierige) Themen bewusst auf Norwegisch mit dir besprechen mit dem Hintergedanken, dass wahrscheinlich nicht viele Widerworte von mir kommen. Menschen, die sehr patriotistisch sind, um es mal euphemistisch zu formulieren.
Natürlich ist es in deiner Muttersprache auch so: Mit manchen Menschen kommst du gut aus, mit anderen weniger. Dennoch lernst du in einem fremden Land mit einer fremden Sprache paradoxer Weise den wahren Kern der Menschen häufig schneller kennen.
Das hässliche Entlein:
Wie viel mit der Sprache zusammenhängt, merkt man oft erst, wenn man sie nicht mehr hat. Wobei dies ja mit vielen Dingen so ist. Aber ich war mir vorher nicht bewusst, wie wichtig die Landessprache und die eigene Kultur sind, wenn es um das tägliche Miteinander geht. Als ich in den USA gelebt habe, war vieles so viel einfacher, da ich den anderen in ihrer Muttersprache entgegenkommen konnte und das Thema Kultur... naja... ersparen wir uns das.
Hier ist aber noch einmal schwieriger. Ich bin bestimmt kein extrovertierter Mensch, aber so schweigsam wie in der Anfangszeit hier war ich das letzte Mal direkt nach dem alle vier Weisheitszähne gleichzeitig gezogen wurden. Seine wahre Persönlichkeit in einer Sprache zu zeigen, die einfach noch nicht fluppt, ist unglaublich schwierig.
Dies ist auch immer wieder Thema beim gelegentlichen Nachmittagskäffchen mit meinem australischen Quijote Kollegen, dem es ähnlich ergeht. Eigentlich kann ich echt witzig sein, neben Deutsch spreche ich Sarkasmus fließend und verstehe auch Ironie. Meine Emails lesen sich in Deutsch oder Englisch auch nicht wie von einem fünfjährigen. Ich steh sonst auch nicht so häufig auf dem Schlauch. Ich weiß, jetzt ist dieser schon porös, da ich mich häufig gar nicht von ihm wegbewege. Aber ehrlich: Ich kann anders! Ich kann’s nur gerade nicht zeigen.
Weil um einen herum leider nicht nur kleine Prinzen sind, die mein wahres Wesen natürlich direkt erkennen können, kommt manchmal schon das Gefühl vom hässlichen Entlein auf, was versucht den hübschen Schwänen auf dem Wasser zu folgen, was noch nicht ganz funktioniert. Früher war es da doch einfacher.
Es gibt aber zwei positive Aspekte hier: Zum einen verliere ich immer mehr die dunklen Federn und das schöne Schwanengewand kommt langsam zum Vorschein. Aber zum anderen lernt man auch seine Schwächen geschickt einzusetzen. So bin ich zum einen nicht die einzige Ente auf dem Teich und habe viele gleichgesinnte Entenfreunde finden können. Dabei handelt es sich um ganz unterschiedliche Entenarten aus zum Beispiel Kanada, den USA, England, Australien und und und.
Aber zum anderen kann man auch über das andersartige dunkle Federgewand Aufmerksamkeit bekommen. Anders ist ja auch oft interessant. Spätestens bei Natalie Portman haben wir gesehen, dass die Schwanenhauptrolle nicht erstrebenswert ist. Da bin ich lieber Ente und umgebe mich mit Menschen, die unter den dunklen Federn meine Prinzessinnenkrone sehen.